Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon Rosi » 1. Mär 2016, 01:10

seerose hat geschrieben:Also noch einmal ein Versuch klarzustellen, daß die Themenstellung fachlich unsinnig ist!

Liebe Seerose,

da Du ja wohl im sozialwissenschaftlichen Bereich "unterwegs" bist, werte ich eine solche Aussage auch als ein Stück "Selbstverteidigung".

Im Prinzip hat ja ursächlich die Perspektive und Verständniswelt von Soziologen dazu beigetragen, dass "Geschlecht" auf eine
Ebene von Identität gestellt wurde. Aufgegriffen von Sexologen wurde dann Körper und Geist gegeneinander gestellt. Gemäß
dem herrschenden Basisverständnis vom Körper als Maß der Dinge, resultieren dann abweichende Identitäten - abweichende
Geschlechtsidentität.

Da hat man den Karren praktisch schon an die Wand gefahren und es ist zu eng zum Wenden. Versuche wie Geschlechts-
Inkongruenz, Gender-Dysporie oder neuerdings auch Neurointersexualität und Körperschema, konnten sich insgesamt nicht von
dieser Körperlichkeit als Denk-Basis trennen und suchen den "Fehler" im Denken und der Identität.

"Geschlecht" ist mehr als etwas im wesentlichen Phänomenales zu verstehen. Dabei finden schon auch die von Dir genannten
Prozesse auf einer identitären Ebene statt, aber halt stetig und umfassend auch unter dem Einfluss des frei von Denk- und
Erfahrungsprozessen stehenden Wesens als eben Wesentliches.

Das Grundproblem "Geschlecht" als "Identität" zu betrachten besteht darin, dass "Identität" leider nicht den unverrückbaren
gesunden Stand hat, weil es in Folge von Denk-Störungen, Wahrnehmungs-Störungen, eben dann auch zu gestörten
Identitäten kommen kann. Auch heute noch müssen wir uns deshalb Sprüche anhören wie: "transsexuelle Menschen haben
ein klares Wissen über ihre abweichende Geschlechtsidentität" (Wissen über abweichendes Geschlecht würde da einem
dagegen sofort ins Gesicht springen).

Weil ja nur der Mensch selbst Auskunft über sein "Geschlecht" geben kann, ist es im Prinzip im Einzelfall schlicht nicht wirklich
von Bedeutung, WIE dieser Mensch zu seinem Ergebnis kommt (was niemals ein Anderer, schwer nur der Mensch selber aufklären
kann). Es ist ihm aber als sein "Geschlecht" anzuerkennen und nicht nur als seine "Geschlechtsidentität".

Es spricht nichts dagegen, die fünf Dimensionen im Sinne eines phänomenalen Denkens versuchen aufzuzeigen. Doch ist dies
halt immer schwer, weil man den greifbaren Raum verlassen muss.

Ich möchte nun aber auch nicht unerwähnt lassen, liebe Seerose, dass wir ganz bestimmt im Umgang mit "Geschlecht" und
der Anerkennung von Menschen in ihrer "Geschlechtlichkeit" die gleiche Handhabung pflegen. Ich denke, wir formulieren nur
anders und haben den verschiedenen Begriffen und Verständnissen nur eine andere Bedeutung hinterlegt.

;-)
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon Vanessa » 1. Mär 2016, 09:58

Rosi hat geschrieben:Ich möchte nun aber auch nicht unerwähnt lassen, liebe Seerose, dass wir ganz bestimmt im Umgang mit "Geschlecht" und
der Anerkennung von Menschen in ihrer "Geschlechtlichkeit" die gleiche Handhabung pflegen. Ich denke, wir formulieren nur
anders und haben den verschiedenen Begriffen und Verständnissen nur eine andere Bedeutung hinterlegt.
Das ist eh so, da bin ich sicher. Wenn wir über uns selbst und unsere eigene gefühlte Geschlechtlichkeit sprechen, meinen wir wohl alle dasselbe.

Was ich letztlich bei dir herauslese, ist dass du Probleme mit den Begriffen hast, weil du eben diesen "Fehler" darin unterstellt siehst und keinen Fehler haben willst, bzw. nicht das Gefühl hast, einen Fehler zu haben. Allerdings bin ich der Ansicht, dass es gar nicht um Fehler geht. Begriffe wie anders oder abweichend betrachte ich völlig wertungsfrei und sehe das nicht als Anerkennung eines Fehlers. Und wenn ich im wissenschaftlichen Sinne von Fehler sprechen sollte, dann meine ich damit eben eine Besonderheit, eine Abweichung, etwas Außerplanmäßiges. Aber das hat für mich nicht im wertenden Sinne etwas Negatives. Daher habe ich mit den Begriffen, die du kritisiert, auch keine Probleme. Ich verwende sie einfach dann, wenn sie meiner Meinung nach einfach den Stand des Wissens widerspiegeln. Und ich versuche dabei völlig frei von persönlichen Befindlichkeiten oder politischen Zielen zu sein. In Letzterem sehe ich meist den Grund für Missverständnisse und Auseinandersetzungen. Objektiv zu diskutieren gelingt nur den Wenigsten. Die einen wollen pathologisiert bleiben, weil sie sonst die Streichung von Kassenleistungen befürchten. Die anderen wollen endlich entpathologisiert werden, damit sie nicht länger als Irre gelten. Wieder anderen geht es vorrangig um Politisches und die positive Beeinflussung der Sicht der Bevölkerung auf Betroffene. Wieder anderen geht es um eine Verbesserung der Rechtslage. Und dann gibt es auch die Leute, denen an einer möglichst wahrheitsgetreuen Erforschung des Phänomens liegt. Und bei diesen Diskussionen vermischen sich diese verschiedensten Ziele, ohne dass diese explizit genannt werden, weil die Leute oft nur von ihrer eigenen Perspektive ausgehen und den Schwerpunkten, die sie bei dem Thema gesetzt haben. Ich finde aber, dass eine sinnvolle Diskussion erst dann möglich ist, wenn man sich in eindeutigen Kontexten bewegt, die für alle gelten. Und dann muss man z.B. als politischer Aktivist auch mal die Politik Politik sein lassen und sich auf die andere Ebene begeben.
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon Rosi » 1. Mär 2016, 13:56

Hallo Vanessa,

mein Ansatz ist es nicht, dass ich Probleme mit "Fehlern" habe (die habe ich natürlich auch). Es geht mir eigentlich
tatsächlich stark darum. wie man das komplett verschobene "Bild" in den Köpfen der Menschen, das aufgrund völlig
überholter Verständniswelten festgezimmert ist, beeinflussen und kann.

Das geht meiner Meinung nach nur noch über anders gestaltete Begriffe und Erklärungsmodelle. Alles was da heute
kursiert, ist mit diesem alten Unrat belastet oder komplett durchweicht und damit "versaut".

Es wäre fatal, wenn wir Alle nur noch frei von Befindlichkeiten und hinterfragen der Dinge, nur wiederkäuen was uns
vorgesetzt wird.

Wenn das Alles so einfach und einfach zu verstehen oder transportieren wäre, hätten wir schon lange nicht mehr
diese Zustände. Ich bin mittlerweile diese verständnislosen Auseinandersetzungen gewohnt, habe aber kein Wesen
dafür, mich frei von Befindlichkeiten zu machen und die Dinge, Dinge sein zu lassen.

Grüße
Rosi
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon Vanessa » 1. Mär 2016, 14:27

Also ich habe den Begriff "neurointersexuell" gestern zum ersten Mal gelesen, mich dann kurz schlau gemacht, und fand es super. Ich kann meinen Standpunkt sehr schnell verändern oder erweitern, wenn ich mit neuen Informationen gefüttert werde.

Ganz ehrlich war mir dieser Bruch und diese wahrgenommene Unverwandschaft zwischen transsexuell und intersexuell schon ein Problemchen. Über Neurointersexualität werden diese beiden Welten unter einer Formel vereint, was ich sehr begrüße, vor allem da dies meiner Meinung nach den Transsexuellen hilft, in ihrem körperlichen Problem (das in diesem Kontext das Gehirn miteinbezieht) akzeptiert zu werden, anstatt dass man bei Intersexuellen das Körperproblem sieht, und bei Transsexuellen das Kopfproblem.

Körperliche Probleme werden in der Gesellschaft auch weitaus besser akzeptiert als geistige. Bei Körperproblemen sagen die Leute bereitwillig, dass sie krank sind, gehen zum Arzt, lassen sich behandeln und die Außenwelt betrachtet das als gottgegeben und nicht als eigenes Verschulden. Krank wird man eben nicht mit Absicht und jeder wird mal krank. Bei psychischen Problemen sieht das ganz anders aus. Zum einen gestehen sich Menschen so etwas nur sehr ungern ein, meiden das Aufsuchen von Therapeuten und müssen gesellschaftlich häufig damit rechnen, als verrückt angesehen zu werden.

Die eigentliche Aufklärung bestünde nun für mich darin, dass man der Gesellschaft klar macht, dass das Geschlecht im Kopf sitzt und nicht in der Hose oder irgendwelchen Chromosomen, die kaum jemand bei sich wirklich kennt oder jemals mit eigenen Augen gesehen hat. Ich halte diesen Erklärungsansatz auch für sehr leicht verständlich und plausibel, so dass man auf keinen großen Widerstand in der Bevölkerung stoßen dürfte. Zudem hat diese Erklärung derzeit den größten naturwissenschaftlichen Rückhalt und geht über bloße theoretische (Wunsch-)Modelle weit hinaus.

Auch für Rechtslage und Kassenübernahmen sehe ich hier grünes Licht. Die Notwendigkeit des Zusammenpassens von Gehirngeschlecht und Körper ist leicht zu begründen und nachzuvollziehen. Anstatt von einem psychischen Problem auszugehen, wandert nur der Fokus auf körperliche Ursachen (mit den eingangs beschriebenen Vorteilen für Betroffene und deren Umwelt).

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass keine der üblichen Bedenken (Kassenübernahme, gesellschaftliche Akzeptanz, Rechtslage, Verfahren) in irgendeiner Weise negativ beeinflusst wären von einer breiten Durchsetzung des Begriffs und Konzepts der Neurointersexualität.

Damit wird eigentlich ja auch deinem Wunsch entsprochen, dass du Chromosomen oder primäre Geschlechtsorgane als Kriterien für Geschlecht verbannt haben möchtest. Das Gehirngeschlecht würde dies ablösen. Menschen mit XY-Chromosomen, Hoden und Penis könnten "vollwertige" Frauen sein, wenn ihr Gehirngeschlecht weiblich ist. Insofern sehe ich dein Problem wirklich nicht.
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon Rosi » 1. Mär 2016, 15:53

Naja, Vanessa,

dieses "Neurointersexualität" setzt doch wieder nur auf dieser körperbasierten Sichtweise auf.
Es ist eine Verlagerung von den Psycho* zu den Neuro*

Wenn, dann ist jeder Mensch "neurointersexuell", genau so, wie jeder Mensch auch "intersexuell"
ist. Transsexualität beschreibt ein anderes Phänomen. Das wäre dann praktisch wieder eine
ganz extreme Form der Neurointersexualität. Es wird einfach wieder die "Problemstellung" oder
Uneindeutigkeit im Kopf (Gehirn) gesehen - genau das muss aufhören. Weil man dadurch nur
den (falschen) "Fehler" anerkennt und ihn für "nicht falsch" erklärt.

Einfach einmal den Standpunkt wechseln:

Ich "bin" mein Gehirn
Ich = gesund
Ich = unantastbar
Ich bin nicht mein Körper
Mein Körper weicht ab
Mein Gehirn weicht nicht ab

Einfach eigentlich, nur schwer, sich von altem Denken (phänomenalen Bildern) zu lösen und das
dann strikt durchzuziehen.

Grüßle
Rosi
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon Vanessa » 1. Mär 2016, 16:20

Ich würde das so beantworten:

Ich "bin" mein Gehirn - ja
Ich = gesund - ja
Ich = unantastbar - ja
Ich bin nicht mein Körper - doch, auch
Mein Körper weicht ab - jein*
Mein Gehirn weicht nicht ab - jein*

* nähere Erläuterung und Differenzierung nötig

Die Frage, ob man ein Körper ist oder einen Körper hat, habe ich früher schon irgendwann mit "ist" beantwortet. Wir sind ein Gesamtorganismus, der nur in seiner Ganzheit funktionieren kann. Das Gehirn ist ein Teil des Körpers und neurologische Aspekte können auch den gesamten Körper betreffen. Unser Bewusstsein, unser Denken und Fühlen findet im Gehirn statt, aber ich möchte deswegen nicht behaupten, dass der Körper nur so etwas wie ein Behälter für das Gehirn ist. Ich habe keinen Körper. Ich bin ein Körper, weil ich ein vollständiges Lebewesen bin. Man kann das auch auf eine simple Quantitätsabwägung reduzieren: Der Körper hat sehr viele Aspekte, es gibt verschiedene Organe, Muskeln, Knochen, Haut, usw., die alle verschiedene lebenswichtige Aufgaben erfüllen. Das Gehirn ist nur einer dieser Aspekte (quasi wie die CPU in einem Computer). Wenn nun eine Diskrepanz zwischen Gehirn und Restkörper besteht, dann erkläre ich eher den einen Aspekt (Gehirn) als abweichend als alle anderen Aspekte, die in der Mehrzahl sind und den Körper ohne das jeweils andere vollständiger beschreiben können. Sonst würde ich sinnbildlich ja quasi die Ausnahme zur Regel erklären. Hier habe ich wohl vor allem eine physiologische Sicht auf den Menschen, um das so zu sehen.
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon Vanessa » 1. Mär 2016, 17:59

spirulina hat geschrieben:So ganz verstehen will ich das auch gar nicht ,denn es macht aus dem Menschen nur noch ein biolog. Konstrukt .
Das stimmt. Ich sehe darin aber kein Problem. Ich sehe den Menschen einerseits als "Biomaschine" oder das Gehirn auch als "Biocomputer", aber das nimmt dem Menschsein, den Gefühlen und Erlebnissen, für mich nicht die Magie. Für mich schließen sich objektive und subjektive Betrachtungsweisen nicht gegenseitig aus. Man sollte sich nur jeweils entscheiden, worüber man gerade spricht. Religiöse Menschen sehen in der Naturwissenschaft und der Abkehr von Gott oft eine Entzauberung der Welt, die sie trist und sinnlos werden lässt. Aber das Wunder der Natur ist für mich nicht weniger Wunder, bloß weil keine Schöpferentität mehr dahinter verortet wird. Ich kann mir einen kleinen Käfer auf einem Blatt mit kindlicher Faszination ewig lange anschauen, danach aber ohne Weiteres darüber sprechen, dass es sich im Grunde um eine biologische Maschine handelt. Ich kann träumen, fantasieren, schwärmen, schwelgen, fühlen, lieben. Aber ich kann auch versuchen, die Mechanismen dahinter objektiv zu betrachten. Das ändert aber nichts daran, wie es sich für mich subjektiv anfühlt. Man könnte auch sagen, dass es verschiedene Abstraktionsebenen gibt, auf denen man die Dinge betrachten kann. Und wir selbst erleben unser Sein auf der höchsten Abstraktionsebene. Alle darunter liegenden Ebenen erkennen wir nur durch Wissenschaft und ihre Hilfsmittel, die wir dazu erschaffen haben. Und bei einer Fragestellung kann einen jeweils eine ganz andere Ebene interessieren. Will man an die absolute Basis? Dann wäre Quantenphysik der richtige Ansatz. Über unsere Gefühle z.B. kann uns diese aber nichts verraten. Bei der Klärung, was Transsexualität wirklich ist, um eine endgültige und korrekte Definition zu finden, wäre(n) wohl eine oder mehrere Ebenen zwischen dem subjektiven Sein und Quantenphysik die richtige Wahl.
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon seerose » 1. Mär 2016, 18:29

Rosi hat geschrieben:
seerose hat geschrieben:Also noch einmal ein Versuch klarzustellen, daß die Themenstellung fachlich unsinnig ist!

Liebe Seerose,
da Du ja wohl im sozialwissenschaftlichen Bereich "unterwegs" bist, werte ich eine solche Aussage auch als ein Stück "Selbstverteidigung".


Liebe Rosi,
ich habe den Eindruck, daß die meisten der hier in den Foren geäußerten Auffassungen Einblicke in interessante Gedankenwelten bieten, wobei häufig im Übersehen des übereinstimmenden Grundverständnis gerne auch die eigene kognitive Brillanz "ausgerollt" wird, und dabei so trefflich aneinander vorbeigeredet wird! Das ich da mit meinem Hintergrund keine Ausnahme mache, versteht sich von selbst!


Im Prinzip hat ja ursächlich die Perspektive und Verständniswelt von Soziologen dazu beigetragen, dass "Geschlecht" auf eine
Ebene von Identität gestellt wurde. Aufgegriffen von Sexologen wurde dann Körper und Geist gegeneinander gestellt. Gemäß
dem herrschenden Basisverständnis vom Körper als Maß der Dinge, resultieren dann abweichende Identitäten - abweichende
Geschlechtsidentität.


Und diese Feststellung "abweichende Geschlechtsidentität" erhielt u.a. dadurch nun erstmals einen unwissenschaftlichen (negativen Be-)Wertungsaspekt. Wenn man sich aber ganz unvoreingenommen fragt, wer denn hier inwiefern und von was abweicht, so ist damit "ein weites Feld" für ergebnisoffene wissenschaftliche Erklärungsmöglichkeiten aufgetan. Vor Vereinnahmungen von der falschen Seite ist keine Wissenschaft gefeit! Und zweifelsohne ist es in unserer Zivilisation der Fall, daß dem "fassbaren" und in vielfacher Hinsicht messbaren Körper das Qualitätsmerkmal "objektiv" zugeschrieben wird, demgegenüber psychisches Erleben, Empfinden als als generell suspekt, da nicht so ohne weiteres messbar, mithin nur "subjektiv" eingebildet erscheint.

Da hat man den Karren praktisch schon an die Wand gefahren und es ist zu eng zum Wenden. Versuche wie Geschlechts-
Inkongruenz, Gender-Dysporie oder neuerdings auch Neurointersexualität und Körperschema, konnten sich insgesamt nicht von
dieser Körperlichkeit als Denk-Basis trennen und suchen den "Fehler" im Denken und der Identität.


Da sehe ich einen gewissen Widerspruch in Deiner Aussage: einerseits verwirfst Du hier Körperlichkeit generell, auch die für uns so wichtigen Erkenntnisse der Neurowissenschaften hinsichtlich Neurointersexualität und Körperschema, die keinesfalls den "Fehler" im Denken und in der Identität suchen, auf der anderen Seite magst Du Dich zu Recht aber dann auch nicht mit der "herrschenden" Attribution eines "minderbemittelten"/minderwertigen, bestenfalls noch bemitleidenswerten Geisteszustands als "Erklärungsursache" für TS anschließen.

"Geschlecht" ist mehr als etwas im wesentlichen Phänomenales zu verstehen. Dabei finden schon auch die von Dir genannten
Prozesse auf einer identitären Ebene statt, aber halt stetig und umfassend auch unter dem Einfluss des frei von Denk- und
Erfahrungsprozessen stehenden Wesens als eben Wesentliches.


Den zweiten Teil Deiner vorausgehenden Aussage verstehe ich nicht; es klingt mir aber so, als wolltest Du hier etwas Ganzheitliches unbedingt "sezieren" in, ja was eigentlich und warum...?

Auch heute noch müssen wir uns deshalb Sprüche anhören wie: "transsexuelle Menschen haben
ein klares Wissen über ihre abweichende Geschlechtsidentität" (Wissen über abweichendes Geschlecht würde da einem
dagegen sofort ins Gesicht springen).


Da hast Du ein wesentliches Problem angesprochen, das aber nicht (sozial-)wissenschaftlich verursacht worden ist, sondern durch von Deutern praktiziertes "Nebelkerzenwerfen". Richtiger Weise müßte es heißen: "Transsexuelle haben ein (mehr oder weniger) klares Wissen über ihre eindeutig männliche oder weibliche Geschlechtsidentität, die sie erkennen läßt, daß die genitalen Körpermerkmale sich hierzu im Widerspruch befinden.
"Abweichende Geschlechtsidentität" kann es nur dann geben, wenn es [u]innerhalb [/u]eines Individuums verschiedene Geschlechts-Identitäten gibt, die mehr oder weniger voneinander abweichen (männlich, weiblich).


Weil ja nur der Mensch selbst Auskunft über sein "Geschlecht" geben kann, ist es im Prinzip im Einzelfall schlicht nicht wirklich
von Bedeutung, WIE dieser Mensch zu seinem Ergebnis kommt (was niemals ein Anderer, schwer nur der Mensch selber aufklären
kann). Es ist ihm aber als sein "Geschlecht" anzuerkennen und nicht nur als seine "Geschlechtsidentität".
...
Ich möchte nun aber auch nicht unerwähnt lassen, liebe Seerose, dass wir ganz bestimmt im Umgang mit "Geschlecht" und
der Anerkennung von Menschen in ihrer "Geschlechtlichkeit" die gleiche Handhabung pflegen. Ich denke, wir formulieren nur
anders und haben den verschiedenen Begriffen und Verständnissen nur eine andere Bedeutung hinterlegt.


Ja, liebe Rosi, das sehe ich genau so!
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon seerose » 1. Mär 2016, 19:14

Rosi schrieb an Vanessa:
Wenn, dann ist jeder Mensch "neurointersexuell", genau so, wie jeder Mensch auch "intersexuell"
ist. Transsexualität beschreibt ein anderes Phänomen. Das wäre dann praktisch wieder eine
ganz extreme Form der Neurointersexualität. Es wird einfach wieder die "Problemstellung" oder
Uneindeutigkeit im Kopf (Gehirn) gesehen - genau das muss aufhören. Weil man dadurch nur
den (falschen) "Fehler" anerkennt und ihn für "nicht falsch" erklärt.

Ich halte die einschlägige Forschung im Bereich der Neurowissenschaften für immens wichtig und wertvoll, zunächst für das Verstehen der Ursachen für TS. Milton Diamond gebührt hier größter Dank für die Etablierung dieser Forschungsrichtung, die ihn nach jahrezehntelanger Erfahrung mit Betroffenen (TS und IS) zu der Erkenntnis kommen ließ, es handele sich bei TS um "Neuro-Intersexualität". Diese Begrifflichkeit verteidigt(e) er auch insbesondere gegen den erbitterten -Widerstand einiger Intersexueller (IS), die nicht gerne mit TS in eine kausale Erklärungsnähe gebracht werden woll(t)en.
Der Begriff "Neuro-Intersexualität" ist zwar gut gemeint, beinhaltet aber eine begriffliche Unschärfe, die leicht wieder zu Mißverständnissen führen kann, denn er impliziert eine geschlechtliche Uneindeutigkeit innerhalb eines Neuro-Systems.
Vielleicht kann meine nachfolgend vorgeschlagene Begrifflichkeit für TS als Wirkung verstanden auf die Ursache "Neuro-Genitale Intersexualität" (NGI) für mehr Klarheit sorgen. Hierbei wird unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, daß sich hierbei die Intersexualität auf das Von-einander-Abweichen bezieht, zwischen den geschlechlichen Neurostrukturen eines Menschen einerseits von seinem Genitale andererseits.
Das klassische Verständnis von Intersexualität beinhaltet ursprünglich nur die Vorstellung des von-Einander-Abweichens männlicher und weiblicher Genitals-Merkmale bei einem Menschen. Gerade aber die zahlreichen Probleme, die durch Beseitigung körperlicher Uneindeutigkeiten im frühestmöglichen Kindesalter geschaffen wurden, stellt viele dieser intersexuellen Menschen vor eine vergleichbare Herausforderung wie TS. Auf der Basis eines vergleichbar eindeutigen Selbstwissens via eindeutiger Geschlechtsidentität artikulierbar, werden gaOPs angestrebt.
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Re: Warum es keine Geschlechtsidentität gibt!

Beitragvon seerose » 1. Mär 2016, 19:23

spirulina hat geschrieben:Das Gehirn ist letztlich auch nix Anderes,wie eine neuronale Verschaltung,Ladung wird akkumuliert und verschoben,ausgelöst durch Sinnesreize,die wiederum stofflich umgesetzt werden und eben zu einer Ladungsverschiebung führen . Diese Elektronenladungen können dauerhaft gespeichert werden oder kurzzeitig verloren gehen - vielleicht ist das Ganze nur eine Frage der Isolation ,also der Myelinscheide ?
Das ist alles sehr schwer zu verstehen und nachzuvollziehen.
So ganz verstehen will ich das auch gar nicht ,denn es macht aus dem Menschen nur noch ein biolog. Konstrukt .


Auch wissenschaftliche Konstrukte können Ganzheitlichkeit nicht fassen, wie Du ja damit schön zum Ausdruck bringst: und auch das Ganze ist eben immer mehr als die Summe seiner Teile, so man sie denn alle beisammen hätte...(!)
Und auch deshalb werden wir aber wohl kaum auf die faszinierende Ganzheitlichkeit verzichten wollen - oder?! :-k
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