Brauchen ts-Menschen (NGS) eine Interessenvertretung?

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Brauchen ts-Menschen (NGS) eine Interessenvertretung?

Beitragvon seerose » 29. Dez 2018, 21:52

Bekanntlich ist der Mensch als Individuum aber immer auch ein soziales Wesen, das nur in Einzelfällen und/oder unter besonderen Umständen in konsequentem Einzelgängertum überlebensfähig ist.
Die Menschen waren und sind in der gesamten Entwicklungsgeschichte in sozialen Gemeinschaften eingebunden (gewesen).
Im Zuge der wissenschaftlichen Spezialisierung hat sich u.a. die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin etabliert, und dabei ihren Fokus auf (häufig virtuelle) Großgruppen gelegt, für die kennzeichnend ist, daß sie die für den einzelnen Menschen wahrnehmbaren Erfahrungsgrenzen quantitativ übersteigen.
Das Bedürfnis des Menschen nach Gesellung führt letztlich und unumgänglich zur Bildung von sozialen Kleingruppen, wie z.B. dyadischen Beziehungen, Familien, Arbeitsgruppen, etc., die ein Alleinstellungsmerkmal haben, hinsichtlich der (nur) dort möglichen Intensivität und Intimität sozialer Austauschprozesse. Die wissenschaftliche Disziplin, die diese Gegebenheiten und Phänomene schwerpunktmäßig untersucht, ist die Sozialpsychologie.
Die Soziale-Identitäts-Theorie SIT ist Bestandteil der kognitiv orientierten soziologischen Sozialpsychologie, die sowohl die Verhältnisse und Mechanismen innerhalb der eigenen Gruppe (in-Group), als aber auch in Bezug auf die andere(n) Außengruppen (out-Group) untersucht. Man spricht in dem Zusammenhang von "Intergruppenbeziehungen". Die Theorie besteht im wesentlichen aus vier miteinander verbundenen Konzepten über psychologische Prozesse: soziale Kategorisierung, soziale Identität, soziale Vergleiche und soziale Distinktheit.
"Mit Hilfe sozialer Kategorisierungsprozesse versuchen wir, unsere soziale Umwelt dadurch überschaubarer und handhabbarer zu machen, daß wir die unter bestimmten Aspekten als zusammengehörig wahrgenommenen Personen unserer Umwelt zu Gruppen zusammenfassen. Soziale Kategorisierung meint jedoch nicht nur die Strukturierung unserer sozialen Umwelt, sondern immer auch die Bewertung dieser Kategorien und damit eine Verknüpfung der Strukturen mit bestimmten Valenzen.
Die soziale Identität, das Kernkonzept der SIT, wird dann relevant, wenn eine Person selbst Mitglied einer bestimmten Gruppe ist. Soziale Identität wird in der Literatur weitestgehend übereinstimmend als der Teil des Selbstkonzeptes einer Person definiert, den die Person aus ihrer Mitgliedschaft in einer sozialen Gruppe gewinnt. Da Personen nach einem positiven Selbstbild und damit nach einer positiven sozialen Identität streben, versuchen Personen die ingroup auf verschiedene Weise positiv von der outgroup abzuheben, also verschiedene Formen positiver Distinktheit zu schaffen." (https://www.spektrum.de/lexikon/psychol ... taet/14513
)

So weit die Ausführungen wichtiger theoretischer Kernelemente der SIT.
Wenn wir jetzt fragen, was das bedeutet, wenn wir diese Mechanismen auf die realen Gegebenheiten von transsexuellen Menschen zu übertragen, dann müssen wir konstatieren:
[*]Originär transsexuelle Menschen mit der ihnen gemeinsamen Geschlechtskörper-Diskrepanz sind quantitativ in deutlicher Minderheit gegenüber den Spielarten des Transvestismus (Trans*; Menschen die sich mit dem "Gegengeschlecht" identifizieren). Trans*-Menschen verfügen zudem über reichlich ausgebaute organisatorische Strukturen, gesellschaftspolitisch gewollte, üppige monetäre und mediale Förderung, so daß sie ihre Interessen lautstark und gesellschaftlich unüberhörbar vertreten können.
Nicht zuletzt dank dieser Ausstattung haben sie es inzwischen geschafft, den somatischen Bedarf originär transsexueller Menschen nicht nur lächerlich zu machen, und in Abrede zu stellen, in dem man für dieses "Ansinnen" erst gar keine eigene Außengruppe mehr "zugelassen" hat, sondern diese vielfach aus der Position der übermächtigen "Eigen"gruppe heraus überheblich als übersteigerte, überholte und fehlgeleitete Identität diffamiert.
Und nicht wenige einschlägig betroffene Transsexuelle sammeln sich "freiwillig" unter dem Einheits-Banner von Trans* als "Trans-Ident".
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Aus sozialpsychologischer Sicht stellt sich die Frage:
[*](Wie) können die einschlägigen Interessen und Bedarfe der einzelnen originär transsexuellen Menschen unter diesen Umständen ("embedded" in der In-Group von Trans*) langfristig und dauerhaft artikuliert und umgesetzt werden?
[*]Welche Chancen hat das einzelne Individuum ohne das Vorhandensein einer einschlägigen In-Group, die darauf ausgerichtet ist, seine fundamentalen Erfordernisse zu Gehör zu bringen, und die Strukturen zu erhalten und/oder zu schaffen, daß die erforderlichen somatischen Maßnahmen auch (angemessen) umgesetzt werden können?!
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Was aber bedeutet das nun für originär transsexuelle Menschen, die erkannt haben, daß allenfalls in der möglichst tatkräftigen Unterstützung einer, "unserer!" Eigengruppe , auch zukünftig die Möglichkeit erhalten bleibt, originär transsexuellen Menschen zur unverzichtbaren Verwirklichung ihrer geschlechtlichen Stimmigkeit zu verhelfen, und die systematischen Voraussetzungen für eine angemessene lebensbegleitende Gesundheits-Versorgung zu schaffen?
ad soziale Kategorisierung:
Wir sollten uns ein-eindeutig als originär transsexuelle Menschen (NGS), bezeichnen.
(Wir sind weder Trans*, noch "Transident", noch sonstiger Trans-Trallala!)
ad soziale Identität:
Als Mensch hat jede/r Einzelne von uns für sich Klarheit über ihre/seine individuelle Personale Identität gewonnen, die uns ein eindeutiges Wissen über unser individuelles Geschlechts-Wesen ermöglicht.
Uns einigt die strukturelle Ähnlichkeit unserer geschlechtskörperlichen Betroffenheit: die Diskrepanz zwischen somatisch genitalem und neuronalem Geschlechts-Bewußtsein, welches wir vor allem durch somatisch-operative Maßnahmen zur Stimmigkeit bringen wollen.
ad soziale Vergleiche:
Soziale Vergleiche zu anderen Betroffenheiten, die von außen betrachtet, zumindest zeitweise während des Transitionsprozesses ähnlich erscheinen mögen, führen jede/n von uns zum Erkennen gravierender Unterschiede:
Uns originär transsexuellen Menschen (NGS) geht es bekanntlich primär und unverzichtbar um die Realisierung somato-neuronaler Geschlechts-Stimmigkeit; Trans*-Menschen geht es zentral um die soziale Geschlechts-Identität, um ein Leben in der gegengeschlechtlichen ROLLE.
ad soziale Distinktheit:
Wie von der SIT beschrieben, bedarf es der Abgrenzung in Form der sozialen Distinktheit, um die Bedürfnisse (der Individuen) seiner sozialen Gruppe angemessen befriedigen zu können. Das bedeutet die klare Benennung und das Verteidigen der unabweisbaren Bedürfnisse der Menschen unserer Eigengruppe: wir haben, anders als andere Menschen (Trans* ), unseren unabweisbaren speziellen Gesundheitsbedarf, und lassen uns diesen weder absprechen, ausreden, noch unsichtbar machen!
Dieses ist ein ganz normaler Vorgang, und geradezu eine Voraussetzung für einen angemessenen und gedeihlichen Umgang im Rahmen von Intergruppen-Beziehungen.
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Re: Brauchen ts-Menschen (NGS) eine Interessenvertretung?

Beitragvon Frank » 29. Dez 2018, 22:36

Liebe Seerose,
ich nehme mal einen kleinen "Teilaspekt" heraus, der in der Differenzierung/Nichtdifferenzierung die gravierendste Rolle spiel:
ad soziale Identität:
Als Mensch hat jede/r Einzelne von uns für sich Klarheit über ihre/seine individuelle Personale Identität gewonnen, die uns ein eindeutiges Wissen über unser individuelles Geschlechts-Wesen ermöglicht
Uns einigt die strukturelle Ähnlichkeit unserer geschlechtskörperlichen Betroffenheit: die Diskrepanz zwischen somatisch genitalem und neuronalem Geschlechts-Bewußtsein, welches wir durch somatisch-operative Maßnahmen zur Stimmigkeit bringen wollen

und
ad soziale Vergleiche:
Soziale Vergleiche zu anderen Betroffenheiten, die von außen betrachtet, zumindest zeitweise während des Transitionsprozesses ähnlich erscheinen mögen, führen jede/n von uns zum Erkennen gravierender Unterschiede:
Uns originär transsexuellen Menschen (NGS) geht es bekanntlich primär und unverzichtbar um die Realisierung somato-neuronaler Geschlechts-Stimmigkeit; Trans*-Menschen geht es zentral um die soziale Geschlechts-Identität, um ein Leben in der gegengeschlechtlichen ROLLE.


Diese beiden Aspekte sind vielfach der Streitpunkt, da viele "Transidente" und auch "trans*Menschen" wie auch originär Transsexuelle glauben, dass die Geschlechtsidentität sowohl für die soziale Rollenebene, wie auch für die "Geschlechts-Stimmigkeit" steht.
Oft wird sogar angeführt, dass erst die Umsetzung der "sozial-interaktiven Rollenänderung" das Bemerken der "Geschlechts-Stimmigkeits-Diskrepanz" ermöglicht, somit also der "gemeinsame Nenner" wäre.

Hierzu muss ich dann auch direkt an die bisherige Behandlungsablaufempfehlung der Sexualogen denken, die ja zunächst eine "Erprobung in der sozialen Rolle" als "Zugangsvorraussetzung für medizinische Maßnahmen" verlangen.

Dies kann ich aber nur deshalb so klar erkennen, weil mir bewußt ist, dass die "personale Identität" etwas anderes ist, als die "soziale (interaktive) Identität". Könntest du diese Differenzierung vielleicht Laienverständlich darstellen?
Ich krieg das nicht so gut hin, da ich dies aus der Ebene der verschiedenen Entwicklungstheorien heraus erarbeitet hatte und mich in einer Erklärung vermutlich genau darin verwickeln würde.

Liebe Grüße,
Frank
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Re: Brauchen ts-Menschen (NGS) eine Interessenvertretung?

Beitragvon Selfmademan » 29. Dez 2018, 23:55

Dyadisch? Bitte auf deutsch, ich habe keine Psychologie studiert. Danke.
V.T. pen phis! Tok narok.
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Re: Brauchen ts-Menschen (NGS) eine Interessenvertretung?

Beitragvon seerose » 30. Dez 2018, 00:17

Selfmademan hat geschrieben:Dyadisch? Bitte auf deutsch, ich habe keine Psychologie studiert. Danke.

Tschuldigung! Die Dyade ist das reale Zusammenkommen von zwei Menschen; eine gewachsene Dyade ist eine Zweier-Beziehung...
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