Authentisch sein - was bedeutet das?

Neues aus Forschung und Wissenschaft zum Thema Transsexualität

Authentisch sein - was bedeutet das?

Beitragvon seerose » 11. Mai 2020, 20:50

Was ist eigentlich das "authentische Selbst", auf das sich wahrscheinlich jederman gerne berufen möchte, sein Handeln sei darauf aufgebaut.
Dabei hat eine Untersuchung zu diesem Thema im Kern nachfolgende Kuriositäten offengelegt:
„…research has shown that people feel most authentic when they conform to a particular set of socially approved qualities, such as being extroverted, emotionally stable, conscientious, intellectual and agreeable.“
https://blogs.scientificamerican.com/ob ... ntic-self/:

Das bedeutet, wenn Menschen die gesellschaftliche Erwartungshaltung der wünschenswerten Charakter-Eigenschaften optimal(er) erfüllen, steigt für sie der damit verbundene Belohnungsaspekt durch die soziale Umwelt (soziale Rollen-“Authentizität).

In Extremsituationen treten Persönlichkeitsunterschiede am klarsten hervor. Wenn sie sich dann also tatsächlich authentisch verhalten, sind die Menschen oft gar nicht zufrieden damit, und mit sich selbst in dieser Situation. Sie begründen ihr Verhalten dann damit, im Stress der Situation hätten sie anders reagiert, als sie aber tatsächlich wären.
Zu viel Abweichung von den gesellschaftlichen Erwartungshaltungen (Normen) führt also tendenziell für ein mehr oder weniger ausgeprägtes "ungutes Gefühl". Was aber sorgt für dieses ungute Gefühl?
Es ist die Urangst von uns Menschen, als soziale Wesen, von der Gemeinschaft abgewertet zu werden, im schlimmste Fall verbunden mit dem Ausschluß aus der sozialen Gemeinschaft.
Dieser Mechanismus sorgt bei vielen, vielleicht sogar bei den meisten Menschen dafür, daß sie sich am authentischsten fühlen, wenn sie die Erwartungen der Gesellschaft (COMMUNITY) besonders gut erfüllen. Hier ist also das „sich…FÜHLEN“ entscheidend:

„This is the paradox of authenticity: In order to reap the many of the benefits of feeling authentic, you may have to betray your true nature.“

Für viele Menschen mag es damit sein bewenden haben, sich in dieser „Komfort-Zone“ bewegen zu können, und zu „dürfen“; für diese Menschen ist (ihre) „Authentizität“ dann deckungsgleich mit ihrer Sozialen Authentizität. Diese Menschen sind dann z.B. auch für (politisch korrekte) Werbebotschaften sehr empfänglich, und sie genießen die soziale Anerkennung ihrer „authentischen Zivilcourage“.

Etwas anderes ist die bewußte Auseinandersetzung mit dem, was für einen selbst „authentisch ist:

„From a psychological science standpoint, a person is considered authentic if she meets certain criteria. Authentic people have considerable self-knowledge and are motivated to learn more about themselves. They are equally interested in understanding their strengths and weaknesses, and they are willing to honestly reflect on feedback regardless of whether it is flattering or unflattering.
Most important, authentic people behave in line with their unique values and qualities even if those idiosyncrasies may conflict with social conventions or other external influences.“
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Re: Authentisch sein - was bedeutet das?

Beitragvon Frank » 4. Jul 2020, 12:17

„Aus psychologischer Sicht gilt eine Person als authentisch, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllt. Authentische Menschen haben eine beträchtliche Selbsterkenntnis und sind motiviert, mehr über sich selbst zu lernen. Sie sind gleichermaßen daran interessiert, ihre Stärken und Schwächen zu verstehen, und sie sind bereit, ehrlich über Feedback nachzudenken, unabhängig davon, ob es schmeichelhaft oder nicht schmeichelhaft ist.
Am wichtigsten ist, dass sich authentische Menschen im Einklang mit ihren einzigartigen Werten und Qualitäten verhalten, auch wenn diese Eigenheiten im Widerspruch zu sozialen Konventionen oder anderen äußeren Einflüssen stehen können. “


Damit kann ich persönlich schon sehr viel mehr anfangen, als mit der "Erfüllung der gesellschaftlichen Erwartungshaltung".
Denn zur "Erfüllung der gesellschaftlichen Erwartungshaltung" gehörte für mich über viele Jahrzehnte hinweg das "Spielen eine Rolle", auch wenn mein inneres Selbst immer dabei war die Grenzen aus zu loten, wie weit konnte ich mein eigentliches "Sein" ausleben ohne dass es zu einem "Ausschluss aus der Gesellschaft" käme?

Oder um es mal in die typischen Begriffe der aktuellen "Gender-Ideologie" zu packen, ich lebte Jahrzehntelang als "Trans*Person" - als Mensch der sich zwischen den Geschlechtern bewegte, immer damit beschäftigt wie weit kann ich mein eigenes geschlechtliches Selbsterleben nach aussen zeigen, ohne dafür von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden? Es war eine ständige hin- und her- Bewegung, merkte ich dass gesellschaftliche Ablehnung kam, wurde ich vorsichtiger und gab mir mehr mühe den "Geschlechtsrollenanforderungen" zu entsprechen. Doch schon sehr früh merkte ich auch, dass diese "Geschlechtsrollenanforderungen" sehr stark vom direkten Umfeld abhängig waren.
In meiner Familie waren diese Anforderungen sehr rigoros und strikt, in Lern- und Arbeitsumegbungen waren sie schon wesentlich offener, wobei es da auch auf andere Aspekte ankam und im Freundes- bzw. Bekanntenkreis konnte ich selbst beeinflussen mit welchen Menschen mit welchen Einstellungen und Anforderungen ich mich umgeben wollte - auch wenn dies natürlich großen Einfluss auf die Möglichkeiten hatte.

Etwa als ich mitte zwanzig war, begann sich dann einiges zu verändern, ich wechselte langsam in eine Art "Transgendersein", gleichwohl dass meine rechtliche und körperliche Geschlechtsugehörigkeit eindeutig weiblich zu sein schien, lebte ich immer mehr in männlichen Rollenaspekten. Dies führte aber leider gerade in der sozialen Interaktion oft zu Missverständnissen - meine Umwelt hielt mich für eine "Maskuline Frau" während ich selbst mich eher als "Femininen Mann" erlebte.
Aber gerade durch diese häufigen Missverständnisse war ich gezwungen mich eben viel mit mir selbst auseinander zu setzen. Dies war aber auch ein durchaus langwieriger Prozess, nichts was mal eben so von "heute auf morgen" umgesetzt werden kann.

Dann kam ich in die Phase wo ich bewußt für mich klar hatte, dass ich "Transsexuell" bin, wobei ich diesen Begriff von Anfang an so erlebte wie der VTSM e.V. heute "Transsexualität (NGS)" beschreibt.
Diese "Transsexualität (NGS)" konnte ich dann aber weitestgehend überwinden, auch wenn dabei einiges schieflief, aber mit dem wie ich mich und meinen Körper heute erlebe kann ich dafür nur einen Begriff suchen, der Aufzeigt das ich meine "Transsexualität (NGS)" als Überwunden ansehe!

Wenn ich dabei Bezug auf die üblichen medizinischen Vorgehensweisen nehme, müsst ich dies als "Z.n. Transsexualität(NGS)" bezeichnen, wobei "Z.n." für "Zustand nach" steht.
So wie im Bezug auf den Penisaufbau eben "Z.n. Penoidoperation" im Bezug zu den bei mir daraus resultierenden Langzeitbeeinträchtigungen (Lymphprobleme im linken Bein).

Zurück zur Authetizität bezeichne ich mich heute eben als "Mann mit transsexueller Vergangenheit".
Und mein "Mannsein" entspricht auch nicht dem typischen "Männerrollenbild", sondern es beruht vor allem auf meinem "mich als Mann stimmig erleben".
Das ich noch immer einige eher feminine Aspekte an mir habe, erlebe ich dabei auch nicht als "Widerspruch" sondern einfach als Aspekte die zu mir gehören und mich eben auch zu einem "einzigartigen Individuum" machen.
Und mich stört es auch nicht, wenn ich deswegen macnhmal blöd angeschaut werde, oder andere Menschen mein "Mannsein" in Frage stellen - wichtig für mich ist das ich mich selbst als "stimmig erlebe".

Ich wage aber auch zu behaupten, dass Menschen solch eine "Authentizität" erst erlangen können, wenn sie bereit sind sich kritisch mit der "sozialen Anpassung/Authentizität" auseinander zu setzen und dazu gehört Reife, Erfahrung und Mut.
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