Trotz unserer räumlichen Trennung haben Lotty und ich mich oft und intensiv ausgetauscht, und nachfolgend möchte ich einige Dinge unserer Gespräche reflektierend aufgreifen. Wir wissen, daß es Lotty erst im höherern Lebensalter vergönnt war, endlich befreit, als sie selbst leben zu können. Der Grund hierfür liegt sicherlich am allerwenigsten bei Lotty selbst. Nein, Lotty ist vielmehr die meiste Zeit ihres Lebens ein Opfer der völlig unangemessenen Umstände im allgemeinen Umgang mit unserer Betroffenheit als transsexuelle Menschen (Neuro-Genitales-Syndrom) gewesen. Die Verhinderung der Möglichkeit, zu sich selbst zu finden, sich ihrer selbst bewußt zu werden, und ein dementsprechend befreites, ihr gemäßes Leben als Frau führen zu können, war ihr, mit Ausnahme der letzten sieben Jahre ihres Lebens nicht vergönnt. In dieser Hinsicht steht Lotty stellvertretend auch für die vielen gleichsam betroffenen Männer und Frauen, denen der Weg zu sich selbst erheblich erschwert oder gar verbaut ist, durch unvorstellbar herrschende brutale Tabus, Verdrängungen, Verleumdungen und Verleugnungen, durch Mechanismen der Verächtlichmachung, der Psycho-Pathologisierung, und nicht zuletzt auch aufgrund der heute vorherrschenden Verzerrung und der Unsichtbarmachung unseres Phänomens als vermeintliche Geschlechts-Identitäts-Störung. Lotty war das einzige Kind ihrer Eltern, und der Vater hatte klare Erwartungen an "seinen Sohn", dem Lotty aber aufgrund ihrer natürlichen Gegebenheiten noch nie nachkommen konnte, was zu vielerlei Spannungen im Elternhaus gesorgt haben dürfte. Diesen "strukturellen Unvereinbarkeiten" dürfte auch weitgehend geschuldet sein, daß Lotty frühzeitig ihren "eigenen Weg" außerhalb des Elternhauses suchte und fand. Zum damaligen Zeitpunkt unbewußt wirkten in Lotty Kräfte der Verzweiflung, die sie ganz überwiegend zu destruktivem und irreversiblem Raubbau an ihrem Körper veranlassten, sei es das Hineinstürzen in nimmer endende Arbeitsorgien als "Workoholic" ohne geregelten Tag-/Nacht-Rhythmus und benötigten Schlaf, zudem exzessives Kettenrauchen, Alkoholkonsum und Drogenmißbrauch. Diese einschneidenden Vorschädigungen sind auch der entscheidende Grund dafür, daß ihr nach Bewußtwerdung ihrer selbst als Frau nur noch wenige Lebensjahre beschieden waren, wenngleich dies ihre eigentlichen Lebensjahre eines glücklichen und erfüllten Lebens gewesen sind, auf die ihr die Ärzte schon seinerzeit, kurz vor der GaOP, kaum noch Hoffnung zu machen wagten. Aber Lotty war so unendlich glücklich und dankbar, daß sie sich nach Bewußtwerdung ihres Frau-Seins mit transsexuellem Hintergrund konsequent und mit allem Nachdruck beherzt von der Opferrolle verabschiedete, und nunmehr gemeinsam mit Frank als ihrem künftigen Lebenspartner sowohl den für sie unerläßlichen Weg der körperlichen GaOP anging, als auch zudem gemeinsam mit ihm die VTSM e.V. gründete, und diese gewissermaßen als selbstbewußtes Kind der Reflexion, Klarheit, Wahrheit und Gerechtigkeit für originär transsexuelle Menschen (NGS) aus der Taufe hob, hegte, pflegte, und stets weiterentwickelte. Ihr ganz persönlicher Einsatz mit aller Entschiedenheit, und dem ihr eigenen Kampfgeist für unsere gemeinsame Sache, ist wohl vor allem zurückzuführen darauf, wie sehr sie letztlich mit ihrem eigenen Leben unter dem Joch der Verhältnisse für transsexuelle Menschen litt und dafür persönlich bezahlen mußte, mit einem die meiste Zeit ihres Lebens weitgehend an ihren eigenen Gegebenheiten und Bedürfnissen vorbeigehenden Leben, das sie durch Betäubung aushaltbar zu machen suchte, aber letztlich auch mit ihrem allzu frühen Tod. Ihr Kampf galt besonders den vielen unterschiedlichen Interessen- und Lobbyverbänden, die maßgeblich verantwortlich sind für die gegenwärtig zunehmenden Bedrohlichkeiten für das Leben und die spezifischen Erfordernisse, und die Anerkennung von originär transsexuellen Menschen (NGS) als Männer und Frauen. Sie hat sich mit ihrem angeschlagenen Organismus nicht geschont, vernehmlich die Stimme zu erheben, und so manchen Streit auszufechten, insbesondere mit den Trans*-Gleichmachern. Das hat sie aber nie davon abgehlten, die Menschen mit anderen phänomenalen Betroffenheiten zu respektieren, und ihnen bei aller gebotenen Distinktion zur Spezifik ihrer Phänomene, diese klar herauszustellen, und dabei auch den Menschen anderer Phänomenlage(n) ihre menschliche Wertschätzung zukommen zu lassen. In diesem Sinne verpflichtet uns ihr Vermächtnis: Klarheit, Wahrheit und Gerechtigkeit für transsexuelle Menschen (NGS) - dafür kämpfen wir!
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